Sand ist das neue Kokain
Gunnar Ahrens in KATAPULT Nr. 01 vom April 2016
Sand ist das neue Kokain
Sand ist eine extrem knappe Ressource. Kleine Inselstaaten häufen Reserven an, andere verschwinden im Meer. Gewalttätige Mafiamethoden sind die Folge.
Wenn etwas im Überfluss vorhanden ist, nutzen wir gerne die Metapher, es gebe davon so viel »wie Sand am Meer«. Diese Redewendung dürfte vielen geläufig sein - und doch ist Sand knapp.
Sand ist eine extrem wertvolle Ressource, die drittwichtigste nach Luft und Wasser. Sand steckt in nahezu allen Dingen, die wir täglich nutzen. Die enthaltenen Mineralien zum Beispiel sind essenziell wichtig für die Informationstechnologie und die chemische Industrie. Noch höher ist der Bedarf aber im Transport- und im Bausektor. Stahlbeton besteht zu zwei Dritteln aus Sand. Jährlich gibt es daher weltweit einen ungefähren Bedarf von 15 Milliarden Tonnen.
Kein Problem, möchte man meinen, die Wüsten sind voll davon. Wüstensand aber ist aufgrund seiner runden Körnung für die industrielle Weiterverarbeitung ungeeignet. Anders verhält es sich mit dem kantigen Sand wie etwa aus Flussbetten und vom Meeresgrund. Daher werden große Mengen Sand (aus den Ozeanen) in die Wüste, beispielsweise von Australien nach Dubai, exportiert.
Die skrupellose Sandmafia
Die weltweiten Sandreserven neigen sich aber dem Ende zu. Alle leicht zu erschließenden Sandquellen sind bereits erschöpft. Der Bedarf steigt dennoch stetig. Die Folge ist das Aufblühen einer regelrechten Sandmafia, die sich an dem jährlichen, illegal gehandelten Sandumsatz von 70 Milliarden Euro bereichern möchte. Zum Vergleich: Der geschätzte globale Umsatz mit Kokain beläuft sich auf 85 Milliarden Euro. Die verschiedenen Akteure der Sandmafia schrecken dabei ebenso wenig vor Gewalt zurück wie die der Drogenmafia. Dies wird leider anhand vieler brutaler Delikte, wie Morde und Verstümmelungen in Südasien, deutlich.
Das Wirtschaftswachstum und der damit verbundene Anstieg an Bauvorhaben, vor allem in Schwellenländern, lässt den Sandbedarf immer weiter steigen. China ist dabei der größte Verbraucher; etwa ein Viertel aller Sandreserven werden im Reich der Mitte benötigt.
Bröckelnde Hochhäuser auf versunkenen Inseln
Wird aber der Bedarf durch Abtragungen am Meeresgrund und in Flussbetten gestillt, hat dies katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt. Das Ökosystem des Meeresbodens wird zerstört und viele Fische werden ihrer Nahrung beraubt. Somit werden die Fischbestände nicht mehr nur durch die Überfischung der Weltmeere reduziert.
Darüber hinaus führt dortige Sandabbau zu einem weltweiten Rückgang der Strände. Vielen Bewohnern des Landesinneren bleibt das bisher vielleicht verborgen, aber nicht den Menschen, die in Küstennähe leben. Gemeinsam mit dem - aufgrund des Klimawandels - zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels stehen hier große Problematiken bevor.
Einige indonesische Inseln beispielsweise sind bereits gänzlich verschwunden, mit der Konsequenz, dass sich internationale Seegrenzen verändern. Somit wächst die Sandknappheit zu einem unmittelbar geostrategischen Problem heran. In reicheren Regionen der Welt werden die Strände künstlich aufgeschüttet - an Singapurs Stränden liegt Sand aus Indonesien und Malaysia. Solche Aufschüttungen haben aber nur eine maximale Haltbarkeit von ein bis zwei Jahren und sind sehr kostenintensiv.
Ein drittes Problem ergibt sich daraus, dass der illegal vom Meeresboden abgetragene Sand viel Salz enthält. Falls dieser nicht vor der Verarbeitung zu Bausand gründlich gewaschen wird, ist der spätere Beton, der diesen Sand enthält, brüchig. Durch die Verwendung solchen Betons besteht schließlich die Gefahr, dass stark einsturzgefährdete Gebäudekomplexe errichtet werden.
Staaten haben kein Interesse an einer Kontrolle
Sand ist mittlerweile so kostbar, dass einige Länder wie Singapur sogar statt eines Devisenschatzes oder Ölreserven regelrechte Sandvorräte anlegen, um für eventuelle Krisen gewappnet zu sein.
Was lässt sich aus dieser Entwicklung schlussfolgern? Obwohl das Problem lange bekannt ist, bedarf es ganz eindeutig eines größeren Bewusstseins darüber, dass Sand kein erneuerbarer Rohstoff ist. Er entsteht als Endresultat durch natürliche Prozesse, die mehrere tausend Jahre dauern.
Der Wert des Sandes und die negativen Auswirkungen der massiven Sandverarbeitung sollten uns aber nicht nur bewusst werden. Wir müssen unser Handeln entsprechend anpassen. Ein Vorteil könnte dabei sein, dass die öffentliche Hand mit staatlichen Bauvorhaben den größten Sandverbraucher darstellt. Dadurch würde es direkt in der Hand der verantwortlichen Politiker liegen, den Sandverbrauch beispielsweise durch Förderung von Gebäuderecycling zu reduzieren.
Zusätzlich muss die Entnahme des Sandes besser dokumentiert werden. Bisher wird der Sandbedarf anhand der Produktionsdaten von Zement, Asphalt oder Bitumen geschätzt. Diese Berechnungen sind aber mit Unsicherheiten behaftet und können nicht alle Nachfragebereiche für Sand abdecken. Daher besteht dringender Forschungsbedarf, um robustere Schätzmethoden zur Entnahme des Sandes zu entwickeln und umzusetzen. Letztlich jedoch kann eine Lösung nur in der Erforschung alternativer Baumaterialien bestehen. Die Bemühungen sollten in dieser Hinsicht deutlich intensiviert werden.
Zusatzinformation:
Die 15 grössten Sandimporteure decken 70.2% des weltweiten Imports ab. Darunter sind (in der Reihenfolge ihrer Importvolumen):
- China, 22.8%
- europäische Länder, 21.8%
- Indien, 4.9%
- Singapur, 4.7%
- weitere asiatische Länder, 4.4%
- Russland, 4.0%
- USA, 2.8%
- Katar, 2.6%