Urban Mining

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Walter Jäggi am 12. Januar 2018 im Tages Anzeiger:

 

Urban Mining: Wohnen im Abfallhaus

Wichtige Baustoffe werden knapp. Nun demonstriert die Forschungsanstalt Empa, wie mit vorhandenem Altmaterial modern gebaut werden kann.

 

Der Begriff ist noch jung: Urban Mining. Er will sagen, dass Städte, Dörfer und Industriekomplexe wahre Materiallager sind, die es zu nutzen gilt. Statt weiterhin von den Ressourcen der Natur zu zehren und Abfälle bloss zu beseitigen, könnte man Materialien, die ihren Dienst getan haben, wieder einsetzen. Auf dem Bau ist das Konzept von Wiederverwendung, Verwertung und Recycling bisher noch wenig umgesetzt worden.

Mit dem Projekt «Urban Mining & Recycling», kurz: Umar, zeigt die Forschungsanstalt Empa nun am Beispiel einer Wohnung in Dübendorf, was alles möglich wäre. Die Gebäudestruktur des sogenannten «Nest» dient bereits bei anderen Innovationsprojekten als Rahmen; jetzt ist eine Wohnung dazugekommen, die tatsächlich auch bewohnt werden soll. Zwei Studentinnen oder Studenten werden in das Wohnlabor einziehen und am eigenen Leib Erfahrungen mit der speziellen Bautechnik machen.

 

Fünfjährige Testphase

Die Vorlage für das weltweit einzigartige Experiment lieferte Dirk E. Hebel. Der früher an der ETH tätige Professor für nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat nicht nur die populäre begehbare Wolke an der Expo 02 in Yverdon gebaut, er erforscht alle möglichen nachhaltigen Baumaterialien als Alternativen zu den heute verbreiteten. Er untersucht auch originelle, ganz unkonventionelle Ansätze. Vor allem betrachtet er Abfälle als Rohstoffe. Bauen mit Abfall nennt er sein Thema pointiert, das er in einem Buch zusammengefasst hat.

 

Darauf wurde auch die Empa aufmerksam, die sich für Nachhaltigkeit am Bau starkmacht. Die Forschungsanstalt als Bauherrin liess eine Dreizimmerwohnung bauen, die aus gebrauchtem und später wieder verwendbarem Material besteht. Was auf dem Papier überzeugend als Etappe in einem Materialkreislauf aussieht, wurde realisiert und muss sich jetzt bewähren. Während fünf Jahren kann die neue Bauweise getestet werden, wobei durchaus auch Fehler auftauchen könnten, aus denen man lernen könne, wie Departementsleiter Peter Richner bei der Eröffnung einräumte.

Am Konzept beteiligt ist Werner Sobek, Leiter des Instituts für Leichtbau der Universität Stuttgart, Gastdozent an vielen Hochschulen und Gründer eines international tätigen Architekturunternehmens. Ihn bewegt seit Jahren die Frage, wie für die immer zahlreicheren Menschen auf der Erde in den kommenden Jahren anständige Behausungen gebaut werden können. Die gebaute Umwelt, Infrastruktur eingeschlossen, beanspruche pro Welteinwohner 110 Tonnen, in den reichen Ländern jedoch fast 500 Tonnen. Selbst ein bescheidener Nachholbedarf der schnell wachsenden Länder würde nach gigantischen Mengen von Baumaterial rufen.

 

«Wo nehmen wir die Baustoffe in diesen Mengen her?», fragt Sobek. «Wir müssen unbedingt leichter bauen.» Das Bauwesen verbrauche weltweit 60 Prozent sämtlicher Materialien und erzeuge 50 Prozent des Abfalls. Die Materialwirtschaft des Bauwesens muss laut Werner Sobek als Kreislauf neu gedacht werden, die Branche habe hier viel Nachholbedarf. Wichtig sei aber auch die Akzeptanz solcher Baustoffe in der Öffentlichkeit; Bauten mit Altmaterial dürften nicht hässlich, sondern müssten wunderschön sein, sagt Architekturprofessor Werner Sobek. Das Dübendorfer Projekt soll den Beweis erbringen.

 

Keine Klebeverbindungen

Für den Bau der Modellwohnung wurde ausschliesslich Material verwendet, das bereits einmal einem Zweck gedient hatte – Abfall könnte man auch sagen. Andererseits wird sich die Konstruktion am Ende so in ihre Einzelteile zerlegen lassen, dass alle Materialien sortenrein wieder zur Verfügung stehen. Die Konstruktion musste dazu bereits von Anfang an den späteren Demontageprozess berücksichtigen. Das schloss beispielsweise die Verwendung von Klebeverbindungen aus, die sich nicht mehr lösen lassen. Um die Detailprobleme bemühte sich eine ganze Reihe von Zulieferern aus dem In- und Ausland, die sich mit Ideen und Materialbeiträgen engagierten. Zum Teil konnten sie auf vorhandene innovative Materialien zurückgreifen, zum Teil mussten aber auch Spezialanfertigungen neu entwickelt werden, etwa für die Kunststeine aus Altmaterial eines holländischen Herstellers, die hier ohne Mörtel zu einer Wand zusammengefügt werden sollten.

 

Ein Wasserhahn, der nur aus einem einzigen Material besteht statt aus mehreren, wurde vom Hersteller im additiven Verfahren (3-D-Druck) einzeln produziert, damit die Vorgabe der Sortenreinheit erfüllt wird. Eine besondere Variante der Kreislaufwirtschaft ist das Teppich-Leasing: Der textile Bodenbelag wird nur geliehen, er geht am Ende seiner Lebenszeit ans Werk zurück, wo die abgenützten Fasern für die nächste Verwendung ersetzt werden. Auch mit dem Prinzip leasen statt besitzen lässt sich der Materialkreislauf optimieren.

 

Das «Nest»-Modul Umar wurde von einer österreichischen Holzbaufirma hergestellt. Die Holzteile wurden bloss zusammengefügt und nicht verleimt, altes Zimmermannshandwerk in einer neuen Form. Die fertigen einzelnen Zellen kamen dann per Lastwagen nach Dübendorf und wurden mithilfe von zwei Kränen innert einem Tag in die Betonstruktur des «Nest» eingebaut. Die Vorfabrikation erforderte präzises Arbeiten, damit zum Beispiel die bereits installierten Rohre der Haustechnik auch exakt zusammenpassten. Damit später einmal die Demontage einfach durchgeführt werden kann, sind die Rohrverbindungen geschraubt.

 

In Einzelteile zerlegen

Ähnliche Methoden der industriellen Fertigung von Räumen kennen die Werften. Die Kabinen der Kreuzfahrtschiffe werden ebenfalls am Fliessband gebrauchsfertig hergestellt und per Kran an ihren Montageort gebracht. In der Werkhalle kann rationell und ohne Wetterprobleme gearbeitet werden, auf der Baustelle geht dann alles schnell. Das soll später auch beim Abbruch so sein: Dank Materialkennzeichnung und Materialplänen lässt sich ein gut konzipiertes Bauwerk ebenso rationell und doch sorgfältig wieder in die Einzelteile zerlegen.

 

In der Seefahrt gibt es neue Regeln, die vor dem Abwracken eines Schiffes einen Recyclingplan und ein Inventar der Materialien verlangen. Letztlich müssten auch für Bauwerke an Land solche Unterlagen bestehen, damit die Anwender von Abbruchmaterial für eine neue Verwendung die geeigneten Stoffe leicht auffinden können. Wie viel von welchen Materialien heute wo verbaut sind, weiss niemand. Die Anteile der drei Wege der direkten Wiederverwendung, der Verwertung und des Recyclings von Abbruchmaterial sind ebenfalls noch wenig erforscht. In der Mine-Stadt warten aber mit Sicherheit viele Baustoffe auf ihre zweite Entdeckung. Sie stecken in Bauten, die noch nicht demontagefreundlich geplant waren.

 

Die Fassade:
Holz, Aluminium und Kupfer

Für die Fassade der neuen Gebäudeeinheit wurde Holz verwendet, das nicht behandelt werden muss. Es kann später erneut genutzt oder auch kompostiert werden. Die Fassadenteile aus Aluminium und aus Kupfer lassen sich dereinst sortenrein demontieren und einschmelzen. Die Kupferbleche stammen vom Dach einer Abbruchliegenschaft und haben in Dübendorf ihr zweites Leben. Ebenfalls direkt wiederverwendet werden die Türklinken, sie waren früher in einer Bank in Belgien im Einsatz und wurden von einer Spezialfirma ausgebaut und auf den Markt gebracht. Wie für Autos, Flugzeugmotoren oder Fabrikeinrichtungen gibt es für Bauteile einen Occasionsmarkt, wenn auch vorläufig in kleinerem Ausmass.

 

Die Wände:
Getränkekartons und Jeansstoff

Eines der Wandelemente besteht aus rezyklierten Getränkekartons – was man ihm auch ansieht. Bei anderen Wänden gibt eine Glasscheibe Einblick in den Aufbau. Man kann erkennen, dass diverse Materialien als Isolierung Verwendung finden. Eines davon besteht aus rezykliertem Jeansstoff, ein anderes aus Pflanzenfasern. Sogar Pilze dienen als Baumaterial, sie bilden einen Wandbelag, der auch mit Lehm verputzt werden kann. Eine schwenkbare Wand als Raumteiler ist aus einzelnen Kunststeinen aus Backstein-Rezyklat aufgebaut. Weil kein Mörtel oder Klebstoff die Steine zusammenhalten soll, haben sie kreisrunde Löcher und sind auf Metallstangen aufgereiht, die in diese Löcher passen.

 

Das Bad:
Glas und Metallfolie

In den Badezimmern durften an Wänden und Böden keine Abdichtungen für die Fugen eingebaut werden. Durch ein geschicktes Zusammensetzen der Elemente wurde die nötige Dichtigkeit dennoch erreicht. Die Glaswände bestehen aus Altglas, wie es in den Sammlungen anfällt. Es wurde nicht eingeschmolzen, sondern mit einem Spezialverfahren aufbereitet und wirkt fast wie ein Kunstwerk. Ein konventioneller Spiegel ist in dem Haus tabu. Spiegel enthalten eine Beschichtung, die nicht entfernt werden kann, das Kriterium der Sortenreinheit für das Recycling ist damit nicht erfüllt. Eine auf Hochglanz polierte Metallfolie dient ganz gut als Spiegel, wenn auch ein paar Verzerrungen nicht zu übersehen sind.

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