Wertschöpfung im Hochbau: Vermeidung von Nutzlosem
Hans Vettiger und Bret Kraus, Hochschule Luzern HSLU in Schweizer Bauwirtschaft Nr. 7/8 vom 17. Juli 2019:
Wertschöpfung im Hochbau: Vermeidung von Nutzlosem
Wie weit lassen sich die im Maschinen- und Anlagenbau bewährten Produktionsprinzipien wie Lean Management auch bei einem Bauunternehmer anwenden?
Was beeinflusst die Wertschöpfung im Hochbau? Wertschöpfung schlägt sich einerseits in der Zahlungsbereitschaft und Zufriedenheit der Auftraggeber und andererseits in der Erwirtschaftung von Erträgen der Bauunternehmer nieder. In der Baubranche zeigt sich oft eine paradoxe Situation: Die Nachfrage nach Bauleistungen ist hoch, trotzdem steigen die Preise aufgrund der hohen Dichte der Auftragnehmer nicht auf ein Niveau, welches einer soliden Bauunternehmung ein langfristig vernünftiges Wirtschaften erlauben würde.
Steigerung der Wertschöpfung: Erfahrungen im Maschinenbau
Die Wurzeln der Steigerung der Wertschöpfung im Maschinenbau -insbesondere in der Automobilindustrie - gehen auf die Unternehmerfamilie Toyota zurück.
Nach dem zweiten Weltkrieg war Toyota auf den Weltmärkten nicht mehr konkurrenzfähig und stand vor dem Konkurs. In Absprache mit den Gewerkschaften hat die Unternehmung die Hälfte der Mitarbeiter entlassen und im Gegenzug der verbleibenden Hälfte versprochen, dass ihre Stellen dank einer gewaltigen gemeinsamen Anstrengung zur Steigerung der Produktivität lebenslang sicher sind.
Vermeidung von Nutzlosem
Die Kernidee der Produktivitätssteigerung bei Toyota lässt sich mit der Idee der Vermeidung von Nutzlosem beschreiben. Unternehmen, die in der Lage sind, auf Nutzloses zu verzichten, werden auch als Lean (schlank) bezeichnet.
Der als Toyota-Produktionssystem bekannt gewordene Orientierungsrahmen zeigt 5 Ansätze zur Vermeidung von Nutzlosem beziehungsweise zur Steigerung der Wertschöpfung.
1. Zuviel Machen
Es wird nur das gemacht, wofür der Auftraggeber bei Transparenz und Urteilsvermögen zu zahlen bereit wäre. Qualität bemisst sich ausschliesslich am Kundennutzen und nicht an den eigenen Qualitätsvorstellungen. Traditionelle Branchenstandards sind laufend zu hinterfragen und Normvorschriften so breit wie möglich auszulegen.
In den 70er-Jahren nahm ein Schweizer Schlagerlied mit dem Titel «Dörf's es bitzli meh si?» die damals im gewerblichen Denken übliche grosszügige Auslegung der Bestellung aufs Korn. Auch und gerade administrative Prozesse können aus Kundensicht nutzlos sein und sollen deshalb auf das Notwendige reduziert werden.
2. Warten und Lager Halten
Wartezeiten und Lager verursachen Kosten, sind aber aus Kundensicht nicht wertschöpfend.
Neben Wartezeiten auf Maschinen und Material fallen auch Wartezeiten auf Entscheidungen von internen oder externen Entscheidungsträgern ins Gewicht.
3. Bewegen und Transportieren
Die Organisation der Arbeitsplätze, des Werkplatzes und der Standort der Lieferanten beeinflussen die Notwendigkeit von Bewegungen und Transporten, also die Effizienz.
4. Beheben von Mängeln
Passieren in der Produktion Fehler, ist deren Korrektur Sache des Unternehmers. Massnahmen zur Reduktion von Fehlern oder zur frühzeitigen Erkennung von Fehlern führen zu einer grossen Steigerung der Produktivität des Unternehmens. Entstehen trotzdem Mängel, soll deren Behebung durch das Unternehmen selbst getragen werden oder zumindest deren Verrechnung dem Auftraggeber offen gelegt werden.
5. Nicht Nutzen von Mitarbeiterpotential
Die wohl wichtigste Möglichkeit, Nutzloses zu vermeiden, liegt in der vollen Ausschöpfung des Mitarbeiterpotentials. Mitarbeiter aller Stufen werden angeleitet, im Dienst des Auftraggebers und der Unternehmung Nutzloses achtsam und selbstverantwortet zu vermeiden. Positive Beispiele im Alltag können mit persönlichem Lob oder auch Spontanprämien ausgezeichnet werden.
Steigerung der Wertschöpfung: Anwendung im Hochbau
Wie lassen sich die ersten drei Ansätze in einem Bauprojekt umsetzen?
Zuviel Machen
Generell muss jede am Bauvorhaben beteiligte Unternehmung die vertraglich geschuldete Leistung erbringen. Dies bedingt eine tiefe Kenntnis des Werkvertrags. Im Normalfall kennen der Kalkulator und der Akquisiteur den Vertrag sehr gut, denn sie haben ihn mit dem Kunden verhandelt. Der Projektleiter ist oft nur teilweise im Bild, der Bauleiter oder Bauführer hat jedoch häufig nur wenig Kenntnis. Für den unternehmerischen Erfolg ist deshalb eminent wichtig, dass das Wissen aus der Offertphase an das Ausführungsteam weitergegeben wird. Dazu eignet sich zum Beispiel eine Übergabe-Sitzung mit standardisierten Traktanden. Wichtig ist zudem, dass dem Ausführungsteam eine genügend lange Einarbeitungszeit zugewiesen wird.
Warten, Lager Halten, Bewegen und Transportieren
Eine Baustelle ist dann optimal organisiert, wenn es keine Wartezeiten und keine unnötigen Materialbewegungen gibt. Auf einer Baustelle im Grossraum Bern wurde zum Beispiel untersucht, wie weit den Bauarbeitern ein effizientes Arbeiten ermöglicht wird. Dabei wurde mit einer Analyse der Tätigkeiten (Multimomentaufnahme) an mehreren typischen Tagen ermittelt, welche Tätigkeiten auf der Baustelle wieviel Zeit effektiv benötigen. In der darauffolgenden Besprechung war der Baumeister erstaunt über den hohen Anteil der nicht wertschöpfenden Tätigkeiten (35%). Er konnte jedoch, basierend auf dieser Erkenntnis, unverzüglich Verbesserungen einführen:
• Änderung der Abfolge einiger Arbeitsschritte und deren Schnittstellen;
• Platzierung-der Werkzeuge und Hilfsmittel jeweils näher beim aktuellen Arbeitsort und dadurch Einsparung von Wegzeit;
• Umorganisation von Anlieferung und Umladezonen, damit die Lastwagen nicht mehr wenden und fast nie rückwärtsfahren müssen.
Auch wenn diese Optimierungen nur einige Prozente der Arbeitszeit einsparen, können sie in der Summe einen Auftrag von der Verlust-in die Gewinnzone hieven.
Schlusswort
Die Maschinenindustrie hat in den letzten 50 Jahren aufgrund des grossen Wettbewerbsdrucks ihre Produktivität im Vergleich zur Bauindustrie deutlich gesteigert. Obwohl sich eine Werkhalle nicht direkt mit einer Baustelle vergleichen lässt, zeigen sich doch wertvolle Hinweise darauf, wie sich auch in der Bauindustrie die Produktion wesentlich steigern lässt. Die wichtigste Erkenntnis ist dabei, dass nicht nur die Mechanisierung und Automatisierung die wesentlichen Treiber der Produktivitätssteigerung sind, sondern auch die Organisation und engagierte Mitarbeitende.